Wenn man den Namen nicht kennt, weiß man nicht, woran nun ist und mit wem man es zu tun hat. Das gilt für namenlose Mächte und Gewalten ebenso wie für namenlose Götter oder graue Eminenzen, die im Hintergrund die Fäden ziehen. Solche Gewalten und Gestalten sind dem Zugriff entzogen, sowenig haftbar wie namhaft zu machen. Seinen Namen nicht zu nennen, sich im Hintergrund zu halten, ist daher eine Geste der Macht, die einen schützt vor dem öffentlichen Zugriff, den der Name gewährt. Seinen Namen nicht zu nennen verbirgt die eigene Identität, verschleiert wer man ist - sei es ein Ritter mit geschlossenem Visier, sei es ein namenloser Verwaltungsbeamter, ein lichtscheuer Geldgeber oder eine Eminenz, die verborgen im Hintergrund ihre Macht spielen lässt. Allmächtig ist, von dem gilt, es sei maius quam nominari potest- größer, als dass es benannt werden könne. Das wäre die potentia absoluta, die sich nicht ordiniert, sich nicht sozial einordnen lassen will, nicht greifbar wird, nicht ansprechbar - und damit dem kommunikativen Miteinander entzogen.
Eigennamen entzaubern diese dunklen Gestalten der Allmacht. Sie machen namhaft, woran man ist, und dingfest, wer da ist. Eigennamen identifizieren Individuen, nolens oder volens. In der Regel wird man genannt, so oder anders, ohne je gefragt worden zu sein. So etwa identifiziert Adam die Geschöpfenamentlich in souveräner Geste. Sie werden weder gefragt, noch hätte Widerspruch einen Zweck gehabt. Über Namen wird nicht verhandelt. Sie werden gegeben und gebraucht, manchmal auch erlitten und verballhornt, in jedem Fall aber bleiben sie, selbst wenn man nicht mehr ist. Friedhöfe sind Gärten voller Namen, deren Träger sich längst aus dem Staub gemacht haben. Bibliotheken übrigens auch. In ihnen geistern die Namen - nicht ganz leiblos. So wie die Schrift der Leib des Geistes ist, so das Buch der Leib des Namens, nachdem der Namensträger zu Staub geworden ist.
AJs symbolischer Körper seines Trägers ist er im Diskurs >zuhanden< und allem ausgesetzt, was ihm zugefügt werden mag. Der Name ist daher nicht weniger sensibel und angreifbar als >Das Porträt des Königs<, in dem er präsent ist, Macht zeigt und das daher nicht missbraucht werden darf. Kein Wunder, dass dem biblischen Bilderverbot ein Namensverbot zur Seite steht (erst ein Namensmissbrauchsverbot, späterproblematischer ein Namensgebrauchsverbot, nie aber ein Namensschreibverbot, auch wenn der Name archaisierend >verstellt< wurde). Der >Name des Herrn< soll geheiligt, aber nicht unnütz geführt oder gar zum Fluchen und Zaubern missbraucht werden.
Daher ist der Name auch eine nicht ungefährliche Exposition seines Trägers. Nemo contra Deum, nisi nomen ipsum. Mit ihm wird er in Schrift und Sprache sichtbar, greifbar und angreifbar. Er wird angehbar und ansprech- bar im Namen. Daher ist er auch verletzbar durch seinen Namen. Denn der Name kann in den Schmutz gezogen oder damit beworfen werden. Er kann, biblisch gesprochen, fälschlich geführt und missbraucht werden. Das gehört zu den Risiken und Nebenwirkungen der Selbstvorstellung, oder auf Theologisch übersetzt: der Selbstoffenbarung seines Namens. Nur - meistert das Selbst seine Offenbarung? Können die Namensgefahren ausgeschlossen werden, indem der Souverän über seinen Namen gebietet und den Gebrauch per Gesetz reguliert?
(QUELLE: Gott Nennen - Im Namen Gottes, S 274, 275; 11. Namensgefahren)
Deus definiri nequit, Gott ist nicht zu definieren, gilt als Sprach- und Denkregel der Theologie. Deus nominari nequit dagegen gilt nicht. Gott ist beim Namen zu nennen, denn sonst bliebe er ganz ungesagt, und nichts wäre unangemessener. Doch wie und mit welchen Namen, was dabei geschieht, das ist seit jeher strittig. Die Namen Gottes, vor allem das Tetragramm und die jesuanische Vateranrede Gottes, sind zwischen Judentum und Christentum ebenso eine quaestio disputanda wie zwischen Exegeten und Systematikern oder Theologen und Philosophen. Diesen Debatten gehen die Autoren exemplarisch nach. Vorgelegt werden sowohl exegetische als auch religionswissenschaftliche Beitrage, die zwischen Altorientalistik und alttestamentlicher Wissenschaft den retrospektiven Horizont ausloten, in denen die Traditionen der Namen Gottes entstanden. Vom Alten Testament führt der Weg über die Septuaginta in das Neue Testament und die christologische Verdichtung der Namensfrage. Von der Prägnanz dieser Verdichtung aus wird dann prospektiv der Horizont abgeschritten, in dem die Namen Gottes gegenwärtig zu verstehen und verantwortlich zu gebrauchen sind. Die 'namenstheologischen' Studien führen von der negativen Theologie über das Verhältnis von Trinität und Tetragramm bis in die Unendlichkeit des Namens mit dem Ziel, Gott zu nennen und nicht namenlos bleiben zu lassen. Denn der Name Gottes ist das Basisphänomen christlicher Theologie - und solcher, die es bleiben will.
(QUELLE: Gott Nennen)